eingestellt am 18.1.25

Foto: Stefan Hagelüken: Busstation in Kampala/Uganda (1994)
Dieses Buch „berichtet“ über eine Begegnung zweier Migranten vor etwa 80 Jahren, als also viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen das „Dritte Reich“ verlassen mussten und ganz Europa zunehmend unsicher für sie wurde, Eine Zeit, in der eine Schiffspassage in die USA als der große Lottogewinn erschien. In Lissabon treffen sich diese beiden Migranten. Bei dieser gemeinsam verbrachten Nacht erzählt der eine dem anderen über sein Leben und Erleben bis zu diesem Zeitpunkt, als seine Frau „Hellen“ an Krebs gestorben ist.
Das Buch schildert eindrucksvoll die Hoffnungen und Ängste eines Lebens in unerwünschter und politisch erzwungener Emigration, und enthält viele gute und bedenkenswerte Gedanken in Bezug auf einen solchen Lebensumstand, die für den sensibel Lesenden auch Eindrücke und Empathie auf in unseren Tagen Migrierende (zu Migration Gezwungene) eröffnen mögen.
Ich möchte hier nur einen Appetithappen anbieten, bei dem „Herr Schwarz“ , der erzählende Migrant über eine Episode mit seiner Frau Hellen erzählt, als er diese nach fünf Jahren (auf der Flucht) in Osnabrück aufsucht, und sie ihn immer wieder fragt: „Warum bist Du zurückgekommen?“:
„ (…) Ich bin nicht sicher, aber äußerste Unsicherheit kann, wenn sie nicht zum Tode führt, zu einer Sicherheit führen, die nicht zu erschüttern ist“, sagte ich lachend. „Das sind große Worte.“ – „Aber sie sind nur die einfache Erfahrung eines Kugeldaseins.“ – „Was ist ein Kugeldasein?“ – „Meines. Eines, das nirgendwo bleiben kann, das sich nie ansiedeln darf, immer im Rollen bleiben muss. Das Dasein des Migranten, das Dasein des indischen Bettelmönches, das Dasein des modernen Menschen. Es gibt übrigens mehr Migranten als man glaubt. Auch solche, die sich nie vom Fleck gerührt haben.“ – „Das klingt sehr gut“, sagte Hellen.“besser als bürgerliche Stagnation.“ – ich nickte: „Man kann es auch mit anderen Worten beschreiben, dann klingt es nicht so gut. Aber unsere Vorstellungskraft ist gottlob nicht so groß. Sonst würde es auch viel weniger Kriegsfreiwillige geben.“ – „Alles ist besser als Stagnation“, sagte Hellen und trank ihr Glas aus. Ich betrachtete sie, während sie trank. „wie jung sie ist“, dachte ich, „wie jung sie ist, wie jung, unerfahren, trotzig liebenswert, ehrlich und töricht. Sie weiß nichts, nicht einmal, dass bürgerliche Stagnation ein moralischer Zustand ist, kein geografischer. „Möchtest Du in sie zurück?“, fragte sie – „Ich glaube nicht, dass ich es könnte. Mein Vaterland hat mich zum Weltbürger gemacht. Nun muss ich es bleiben. Zurück kann man nie.“ – „Auch nicht zu einem Menschen?“ – „Auch nicht zu einem Menschen“, sagte ich, „selbst die Erde führt ein Kugeldasein. Sie ist ein Immigrant der Sonne. Man kann nie zurück, oder man zerkracht.“ – Gottseidank!“, Hellen hielt mir ihr Glas hin: „Wolltest Du nie zurück?“ – „Immer!“, erwiderte ich. „Ich folge nie meinen Theorien. Das gibt ihnen doppelten Reiz.“ Hellen lachte: „Das ist alles nicht wahr.“ – „Natürlich nicht! Es ist ein bisschen Spinngewebe, um anderes zu verdecken.“ – „Was?“ – „Etwas ohne Worte.“ – „etwas, das es nur nachts gibt?“ – Ich antwortete nicht. Ich saß ruhig im Bett. Der Wind der Zeit hatte aufgehört zu wehen. Er sauste mir nicht mehr in den Ohren. Es war, als ob ich aus einem Flugzeug in einen Ballon gekommen wäre. Ich schwebte und flog noch, aber der Lärm der Motoren war verstummt. (…)“
Ein wirklich bemerkenswertes Stück tiefsinniger Literatur, die keineswegs „nichts“ mit dem heutigen (Er-)leben vieler Erdenbürger oder vielleicht (hoffentlich nicht!) bald auch wieder unser selbst zu tun hat oder zumindest haben könnte.
Foto: Stefan Hagelüken: Busstation in Kampala/Uganda (1994)


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