eingestellt 17.11.24, erweitert am 19.8.25

Foto StH: Kaffeefilter (1982)
(wenn wir rechts-populistisch wählen und handeln)
Die einfachen „Lösungen“ scheinen auf dem Vormarsch. Politiker und Parteien, die solche versprechen eilen von Wahlsieg zu Wahlsieg. Sie scheinen immer mächtiger und einflussreicher zu werden – ob in Amerika oder Europa.
Und tatsächlich erscheint die Welt unerträglich kompliziert. Pluralismus des Denkens und Lebens erscheint anstrengend. Einfache Lösungen hingegen erscheinen attraktiv. Wie schön wäre es, in einer übersichtlichen Welt zu leben, wo alle so sind und denken wie ich?
Meinem Geschlecht, meiner Religion, meiner politischen Einstellung angehören?
Meine Einstellungen und Ansichten teilen. Keine anstrengenden Meinungsverschiedenheiten oder gar Streitigkeiten?
100 % für die von mir favorisierte Partei?
Derartige „Führersysteme“, in denen mir eine starke Persönlichkeit die Qual des eigenständigen Denkens, die Verantwortung und somit die Last der Entscheidung abnimmt, gab es in vielen Zeitaltern und Weltregionen.
In einigen Ländern gibt es diese noch immer.
Und in offensichtlich immer mehr Ländern sehnen sich scheinbar immer mehr Menschen danach.
Wäre das Leben in einem derartigen Staat tatsächlich einfach? Vielleicht! Aber auch schön oder interessant?
Mit wem sollte ich diskutieren? An wessen Meinung mich reiben? An wessen Argumenten wachsen? Über wessen Kultur staunen?
Meinungsfreiheit? Presse- und Versammlungsfreiheit: Wollen Orban, Milley, Trump oder Putin eher nicht – zumindest nicht für die anderen!
Pluralismus? Besser nicht!
Offenheit für das Fremde? Gott bewahre! Viel zu anstrengend! Zu kompliziert!
Deutsche Leitkultur will ich! Was auch immer das genau sein soll! Da ich nicht genau weiß, was es sein könnte, sollen andere (starke Personen) das lieber für mich entscheiden!
Denken wir das mal zu Ende:
- Alle sehen aus wie ich.
- Alle denken und glauben dasselbe wie ich.
- Alle wollen und wählen das Identische wie ich
In jener Welt habe ich stets den Eindruck, in einer Welt von Millionen Spiegeln rumzulaufen – überall begegne ich nur mir selbst!
Alles bleibt, wie es ist, das Leben ist leicht, geordnet und alle Probleme lösen Andere für mich. Eigentlich gibt es ja überhaupt keine Probleme.
ALLES ist klar, eindeutig und von Anderen für mich entschieden und gelöst. Die „perfekte Gleichheit“, die „grenzenlose Freiheit“ von Belastungen und Kompliziertheit/Komplexität.
Das Paradies völlig ohne Problem oder Herausforderung? Oder eher die Hölle der gleichförmigen Langeweile?
Will ich in einer derartigen Welt leben? Möchtest Du es?
Und Europa? Oh mein Gott! Die Brexitiers meinten, ohne Europa gnge es uns (Briten) besser – ging offensichtlich nicht ganz auf. Vielleicht nicht radikal genug umgesetzt? Schon stürmt einer, der sich zunächst nach dem Brexit zunächst einen schlanken Fuß machte, die Hitlisten der Wahlprognosen: Nigel Farage.
Auch in anderen europäischen Ländern, ob in den Niederlanden, Italien, oder möglicherweise demnächst Spanien, Portugal, Frankreich und selbst Deutschland, wird von einigem Parteien vom „Europa der Nationen“, von „weniger Europa und mehr nationaler Souveränität geschwafelt, und zunehmend vielen Wählenden scheint dies zu gefallen.
Wissen die, was sie wegwerfen? Warum wählen so viele junge Menschen national bzw. nationalistisch rechts?
Eine mir nachvollziehbar erscheinende Erklärung liefert der britische Historiker und Publizist Timothy Garton Ash in seinem Buch „Europa“:
„Bronisław Geremek glaubte mit jeder Faser seines Seins an das Projekt, ein besseres Europa aufzubauen.. Geremeks Geschichte ist einzigartig, aber die Grundform seines Europäertums ist typisch für mehrere Generationen von Baumeistern Europas, die unseren Kontingent zu dem gemacht haben, was er zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist.
Wenn man sich anschaut, welche Argumente für die europäische Integration in den verschiedenen Ländern von den 1940ern bis zu den 1990er Jahren vorgebracht wurden, scheint jede nationale Geschichte auf den ersten Blick sehr unterschiedlich zu sein. Aber wenn man ein wenig tiefer gräbt, findet man immer denselben Grundgedanken: „Wir waren an einem schlimmen Ort, wir wollen an einem besseren Ort sein. Und dieser bessere Ort heißt Europa.
Die Alpträume, aus denen die europäischen Nationen zu erwachen versuchten, waren vielfältig und unterschiedlich. Für Deutschland war es die Scham und Schande des verbrecherischen Regimes, das Bronings Vater ermordet hatte. Für Frankreich war die Demütigung von Niederlage und Besatzung. Für Großbritannien der wirtschaftliche und politische Niedergang. Für Spanien eine faschistische Diktatur und für Polen eine kommunistische Diktatur. Europa mangelt es nicht an Alpträumen, aber für die Menschen in all diesen Ländern war die Grundform des pro-europäischen Arguments die gleiche. Diese Form war ein langgezogenes, überschwängliches Häkchen: ein steiler Abstieg, eine Kehrtwende und dann eine aufsteigende Linie, die in eine bessere Zukunft führte. – eine Zukunft namens Europa.
Zu den Gründungsvätern der Europäischen Union gehörten Menschen, die man die „14er“ nennen könnten, die sich noch lebhaft an die Schrecken des 1. Weltkriegs erinnerten. Einer dieser 14er war der britische Premierminister Harold Mc Millan, der mit brechender Stimme von der verlorenen Generation seiner Zeitgenossen sprach.
Nach ihnen kamen 39er wie Geremek, unauslöschlich geprägt von den Traumata von Krieg, Gulak, Besatzung und Holocaust. Das gilt genauso auch für die französische Politikerin Simone Veil, die Ausschwitz und Bergen-Belsen überlebte.
Und dann waren da noch die 68er, die sich gegen die kriegsgeschädigte Generation ihrer Eltern auflehnte, von denen einige aber auch die Diktaturen in Süd- und Osteuropa aus erster Hand kannten. Jede Generation hatte ihren langen Schweif.
Die Nach-39er, wie Helmut Kohl z.B., der zu jung war, um im 2. Weltkrieg zu kämpfen, aber dennoch von ihm geprägt war. Und die Nach-68er wie mich.
Nach den 68ern kamen die 89er, die in ihren späten Jugendjahren oder Anfang 20 waren, als sie die samtenen Revolutionen von 1989, die den Kommunismus in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei beendeten, den Fall der Berliner Mauer und die anschließende Auflösung der Sowjetunion erlebten,
Wir müssen uns natürlich davor hüten, die Nachkriegsgeschichte Europas in ein Märchen zu verwandeln, in dem weise, tugendhafte Helden aus ihren Erfahrungen in der Hölle lernen, und daraus dann den Himmel schaffen. Die wahre Geschichte ist voll von Staaten, die ihre nationalen Interessen verfolgen, von verfallenden Imperien, hinterhältigen Machtspielen mit harten Bandagen kämpfendem Wirtschaftslobbyismus, diplomatischen Kompromissen, persönlichen Ambitionen und nicht zuletzt dem historischen Glück, Fortuna, das laut Machiavelli die halbe Erklärung für die meisten politischen Ereignisse ausmacht. Doch irgendwo dazwischen war, über vier Generationen hinweg, der Erinnerungsmotor am arbeiten, in den Köpfen und Herzen der führenden Politikern, aber auch in jenen von Millionen Europäern. Und so waren wir hoffnungsvoll unterwegs in Richtung dieser besseren Zukunft, die sich Europa nennt.
Die Probleme beginnen, sobald man im gelobten Land angekommen ist. Im zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts hatten wir zum ersten Mal eine Generation von Europäern, die nichts anderes kannte als ein friedliches, freies Europa, das hauptsächlich aus liberalen Demokratien bestand. Kein Wunder, dass ihnen das selbstverständlich erschien. Diejenigen, die im ehemaligen Jugoslawien, oder in Ländern wie der Ukraine, Weißrussland und Russland aufgewachsen sind, bildeten wichtige Ausnahmen.
Diese neue Generation könnte man die Nach-89er nennen, oder, um einen anschaulichen Begriff aus der Zeit nach der Apartheit in Südafrika zu verwenden, die Born frees, die in Freiheit Geborenen.
Erinnerungen an Dinge, die man persönlich gesehen und gehört, genossen oder ertragen hat, Sind eine unvergleichlich starke Motivationskraft. Aber die unmittelbare. Persönliche Erinnerung ist nicht die einzige Art und Weise, wie das wissen über vergangene Dinge weitergegeben werden kann.
So war beispielsweise der D-Day ein wichtiger Moment für mich, obwohl er elf Jahre vor meiner Geburt stattfand. Eine einzige, persönliche Begegnung mit einem Veteranen oder Überlebenden, kann das ganze Leben verändern. Und dann ist da noch die Arbeit von Historikern, Romanautoren, Journalisten und Filmemachern, die versuchen, die Toten um der Lebenden willen lebendig zu machen.
Der Ausschwitz-Überlebende, Elie Wiesel, nannte diesen Prozess „Erinnerungstransfusion“. Die größte Chance der Zivilisation besteht darin, dass wir aus der Vergangenheit lernen können, ohne sie selbst noch einmal durchleben zu müssen.“
Ja: ich weiß noch, wie es im Europa vor Schengen war, meine Eltern haben noch Krieg und Zerstörung am eigenen Leib erlebt – mit unseren „Erbfeinden“. Wer im Geschichtsunterricht nur ein wenig aufgepasst hat, kann ein vereinigtes und in friedlicher Nachbarschaft lebendes Europa wirklich schätzen, in den letzten Jahrhunderten war dies eher die Ausnahme als die Regel! Meinen Kindern, Kindeskindern – und letztlich uns allen wünsche ich, dass wir lernen, ohne die früheren Schrecken selbst nochmals durchleben zu müssen – Sie und wir alle werden genug mit den jetzigen und vermutlich künftigen , uns teilweise – und zum Glück – noch unbekannten Schrecken zu tun haben.
Zur Schreckensvermeidung .- oder zumindest Schreckensminderung müssen wir allerdings auch bereit sein, etwas zu tun, und unsere Kraft einzusetzen.


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