Eingestellt am 6.9.2024
mit Handicap on Tour“
INTRO:

Wir beide sind schwerbehindert, und letztlich lernten wir uns kennen und liebten wir uns auch deshalb, seit einer medizinischen Rehabilitation im Frankenland im Januar/Februar 2012. Nach fast 13 Jahren waren wir getrennt, weil es wohl trotz allem Bemühen nicht ging und der (seelische) Schmerz zu tief saß und zu überwältigend zu wirken schien. Doch im „Trennungsjahr“ merkten wir, dass wir ohne einander weder können noch wollen – und so fanden wir wieder zusammen,
Wir, das sind:
sie, geb. 1967 und nach der Diagnose einer primär progredienten MS frühverrentet. Es gibt bessere und schlechtere Tage, 2012 gaben ihr die Ärzte eine extrem schlechte Prognose, „weil die MS viel zu schnell fortschreite“. Mit viel unerschütterlichem Willen und Lust am Leben strafte sie die Ärzte Lügen, wie man nun im Juni 2024 mit Fug und Recht behaupten kann. Aber es ist oft tatsächlich ein Kampf, die Tage sind oft begleitet von Schmerzen und sie muss stets auf die Einteilung ihrer Kräfte achten, was ihr oft schwerfällt. Aber, als die Kraft für ein „analoges Fahrrad“ nicht mehr reichte, entdeckten wir e-Bikes und bei ihrer ersten Probefahrt strahlte sie über beide Ohren und wie ein Honigkuchenpferd. Das e-Bike bietet ihr neue Möglichkeiten, wobei sie auch dabei stets auf ihren Kräftehaushalt achten muss. Geht sie über den Punkt, geht plötzlich gar nichts mehr und sie muss es auch an den Folgetagen mit Schmerzen und Muskelversteifung / Spastiken teuer bezahlen. Dann kann sie kaum die Füße heben und die Angst kommt, dass es nicht mehr besser wird. Übrigens hat die progrediente MS keine Schübe und es gibt im Falle einer bereits längeren Erkrankung keinerlei Medikamente oder erfolgversprechende Behandlung außer dem eigenen Willen und dem täglichen Kampf, sich nicht hängen zu lassen und in sein Schicksal zu fügen. Es ist die chronisch sich verschlechternde Form.
Sicher nur dank ihres Willens kann sie mit ihm noch die Touren unternehmen, bei denen wir gemeinsam beschlossen, diese in einem Blog zu beschreiben, um andere Menschen an unserer Lebensfreude und unseren Erlebnissen teilhaben zu lassen und (hoffentlich) anderen Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten den ein oder anderen Tipp und vielleicht Kraft, Lust und Mut auf Nachahmung zu vermitteln. Wir sind interessiert an neuen Eindrücken, Menschen und Gegenden, sowie deren Perspektiven. Wir möchten unsere gewohnten Denk- und Lebensweisen, letztlich die „Komfortzone“ auch mal verlassen.
Er, geb. 1961, erlitt im Juli 2004 einen schweren Schlaganfall, der ihn über Not-OP, künstliches Koma und Intensivstation sowie jahrelange Physiotherapie, die ihn nach etwa 9 Monaten zunächst aus dem Rollstuhl befreite, bevor sich mit viel Ausdauer immer mehr „Bewegungsfreiheit“ wieder eröffnete. Ein Leben mit linksseitiger Lähmung verblieb, doch reiste er z.B. dienstlich auch wieder selbständig interkontinental, was ihm (wieder) eine neue Qualität bot .
Natürlich hat sich das Leben in vielen Aspekten sehr geändert, doch sieht und erfreut er sich der Dinge, die noch gehen. Und seit er 2006 ein Dreirad in einem Fahrradladen sah und bei der Probefahrt gewahr wurde, dass er (mit ganz leichtem Umbau) darauf auf- und von ihm wieder selbstständig absteigen konnte, hat auch er wieder einen weit größeren Aktionsradius. Außerdem wurden einige Bedienelemente von der linken Lenkerseite auf die rechte verlegt. Das Hilfsmittel ist ein Fusskorb der Pedale am linken (gelähmten) Fuß, damit dieser nicht immer von der Pedale rutscht, Und etwa 2022 erhielt er in einem Bonner Fahrradfachhandel den Tipp einer „Hase-Pedale“, die die Ferse durch einen Gummizug in die Pedale hineindrückt und somit besser auf der Pedale hält, was zuvor insbesondere bei unebener Strecke oft nicht gut gelang. Seitdem sind auch Steigungen etwas besser zu bewältigen. Für Alpen reicht der Ehrgeiz dann doch nicht;). Aber die Eifel wurde schon besucht.
Und nachdem sein erstes, noch „analoges“ Dreirad 2020 im Rahmen brach, kaufte er sich ein neues e-Trike, das ebenfalls die Steigungen etwas erleichtert und den Aktionsradius nochmals erweitert.
11.-14.6.2024 – MOSEL-/RHEINTOUR

Der 3-beinige Drahtesel (ohne Verbrennungsmotor)
11.6: Radeln am Rhein entlang von Königswinter nach Unkel: eigent-lich eine schöne und leichte Etappe, wäre da nicht die Vollsperrung des Fahrradweges kurz vor dem Bahnhof Unkel gewesen, die in der Rich-tung leider vorher nicht angekündigt wurde – wohl jedoch in der anderen Richtung in Unkel, wie wir später feststellten. Kurz vor der Baustelle kam uns ein anderer Fahrradfahrer entgegen, der meinte, etwas weiter sei gesperrt. Wir dachten in unserem jugendlichen Leichtsinn (sie in den späten 50ern, er die gleiche Jahreszahl bereits jenseits der 60), man wird doch wohl irgendwie dort weiterkommen, doch die Vollsperrung belehrte uns eines Schlechteren.
Also ein Stück zurück und dann links oder rechts? Der andere Radler fuhr links und da er ein (noch mehr) Einheimischer als wir zu sein schien, folgten wir ihm. Tatsächlich konnte man links ein kleineres Stück zum Rhein hin radeln, und dann wieder links entlang des Rheins. Dieser Weg war allerdings eher ein Radtrampelpfad denn ein Radweg, also relativ eng – zumindest für mein Dreirad und durch eine „Brennnesselallee“. Dennoch erreichten wir nach vielleicht gut 500 m einen Parkplatz und konnten von dort aus bequem und problemlos Gleis 1 des Unkeler Bahnhofs erreichen, das ohne Unterführungen, also barrierefrei zugänglich ist. Auf dem Bahnhof befand sich bereits eine lustige, vielleicht 8-köpfige Wandergruppe. Da wir wussten, dass der Einstieg in das Fahrradabteil einiger Regionalzüge nur über 2 Stufen führt und damit nicht barrierefrei zu bewältigen ist – was denkt sich die DB eigentlich dabei? Hunde und Rollstuhlfahrende: „Wir müssen leider draußen bleiben!“?
Jedenfalls fragte ich die Wandersleut schon mal vorsorglich, ob sie uns beim Einstieg helfen könnten, wozu sie gerne bereit waren, sollte dieser Zug einer jener welcher sein …
Und so warteten wir die nicht nur fahrplanmäßig etwa 20 Minuten bis zur tatsächlichen Ankunft, sondern das akademische Viertel oben-drauf! Schön, dass die Bahn auch derart hochgebildet unterwegs ist!
Und dann war es tatsächlich einer dieser „Was-denkt-sich-die-DB-eigentlich-dabei“-Züge und die Wandersleut legten helfende Hand an. Während sie bis Bad Hönningen fuhren. Unserer Meinung nach ist Bad Hönningen im Gegensatz zu Erpel und Unkel, deren Ortskern einen Besuch wirklich wert ist, keine besonders reizvolle Stadt, doch bleiben uns die vermutlich reizvollen Wanderwege im Hinterland leider behinderungsbedingt verborgen.
Jedenfalls ging die Gruppe dort freundlich grüßend uns das beste wünschend auf Wanderschaft, während wir weiter bis Koblenz fuhren, wo wir zwar nicht den fahrplanmäßig nächsten Zug erreichten, aber mit durchaus erträglicher Wartezeit einen kleinen Zug zu unserem Ziel „Cochem“. Dieser wurde mir in der DB-App nicht als Möglichkeit genannt, war aber dennoch erfreulicherweise real existierend. OK, die Menge an Fahrradstellplätzen war eher überschaubar und wurde dies durch mein Dreirad eher noch mehr, aber dann passten die insgesamt 4 Räder doch, auch wenn mein Dreirad quer in einem Eingangsbereich stand. Die Fahrt bis Cochem verlief dann problemlos. Der Einstieg in diesen Zug war übrigens dank ausfahrender Rampe und Stufenlosigkeit tatsächlich barrierefrei, wofür der DB herzlichst gedankt sei!
Vom Bahnhof, der über einen Aufzug verfügte, was wir zuvor im Internet erkundet hatten, verließen wir den Bahnhof. Allen nicht-tätig-gewesenen Zerstörenden sei gedankt, dass der Aufzug im Bahnhof tatsächlich funktionierte. Ja, liebe Leute: Aufzüge in Bahnhöfen haben tatsächlich Sinn und Wert – und für einige, wie uns, noch etwas mehr!
Dann radelten wir entlang des Rheins gut 2 km weiter flussaufwärts bis zum Hotel „Zur schönen Aussicht“, wo uns der Besitzer bereits erwartete.
Die begrüßende Einführung am Hotel war hilfreich, auch wenn sie nicht auf die Aussicht einging. So wurde beschrieben, wo der Fahrrad-raum liegt: links und dann wieder links, dann durch eine braune Tür – und so brachten wir unsere Drahtesel zunächst in ihren Stall und dann uns selbst in den unsrigen in der 1. Etage.
Der Fahrradstellraum ist gut gesichert und bietet relativ vielen Rädern Platz und Lademöglichkeiten. Das Zimmer war völlig ok und das morgendliche Frühstück reichhaltig, frisch zubereitet und wirklich lobenswert. Für mich war die Treppe in den 1. Stock durchaus zu bewältigen. Ein Aufzug steht leider nicht bereit, was für anderes Gehbehinderte zum Hindernis werden kann.
12.6.24:

Blick von Hotel „Schöne Aussicht“ in Richtung Cochem
Gegen 10.00 Uhr verließen wir dieses empfehlenswert gastliche Haus und ritten auf unseren 5 Rädern zunächst zu einer kurzen Rundfahrt durch das Zentrum von Cochem
– die Burg zu erklimmen sparten wir uns, doch führte uns unsere rege Phantasie, die wir durch ein am Wegesrand lagerndes Faltblatt von und zur Historie der Stadt anregen ließen: Eine Zeit einige Jahrhunder-te zurück, als Raubritter sich gegenseitig die Köpfe ein- und die Pferde unter dem Arsch wegschlugen und statt den wohl damals eher selte-nen Radlern lieber prall gefüllten Schiffsbäuchen und einigen ebenso gefüllten Wagen mit Pferdestärke wegelagerten. Somit sei die, doch wieder allen Unkenrufen interessierter Kreise zum Trotz, in heutigen Tagen durchaus gute innere Sicherheit der modernen radbewegten Handels- und Wanderwege gelobt und gepriesen.
Wie mag es gewesen sein, als die Stadt 1688 und 1689 niedergebrannt und die Bevölkerung gequält, beraubt, geschändet und ermordet wurde? Was mögen die Menschen empfunden haben? Oder nahmen sie es als „gottgegeben“ hin? Aber haben nicht Menschen zu allen Zeiten gelitten, waren sie nicht immer gefühls- und schmerzempfindlich? Konnte der Glaube dieses Leiden tatsächlich erträglich machen?
Oder die Pest in Cochem von 1423-25, an die noch heute das Peterskappelchen am Hang, zwischen Burg und Stadt erinnert:

Peterskapellchen und Burg Cochem am Hang über Cochem
Es kommt uns so fern und unmenschlich vor, und doch ist es gar nicht so fern, wenn man an Dafur im Sudan, Homs und Aleppo in Syrien oder Butscha in der Ukraine denkt. Der Mensch bleibt dem Menschen ein Wolf – auch heute!
Wie mag andererseits das Leben zur Blüte der Stadt gewesen sein, als etwa im 18. Jahrhundert Cochem laut des Faltblatts „Geschichte der Stadt Cochem“ die Stadt immer mehr zum Zentrum von Handwerk und Handel wurde, und jede Woche das Marktschiff mit Waren und Reisenden vollbeladen nach Koblenz fuhr?
Aus Ruinen erstanden, wie nach schwerer Krankheit. Kann das Leben nicht auch schön sein? Solches Wiederaufblühen wünschen wir auch der Ukraine und all den anderen geschundenen Orten dieser Welt!
Nach der kleinen Rundfahrt durch Cochem fahren wir weiter moselabwärts gen Koblenz.
Gut: wir treffen andere Radler, die wollen heute noch bis Koblenz oder gar Mainz. Wie meine werte Begleiterin ein wenig kopfschüttelnd bemerkt, sind einige der Herren mehr oder weniger modisch und sicher praktisch funktionsgekleidet, während wir batikbehemdet doch eher nicht fahrradmessentauglich gekleidet sind. Zugegeben, uns fehlt für solche weitradelnden Pläne neben der passenden Funktionsklei-dung wohl auch der nicht-behinderte Ehrgeiz. Uns reicht als Tages-pensum die etwa 35 km bis Kobern-Gondorf und so wurden wir folge-richtig von den Funktionsbekleideten überholt und abgehängt. Dies stört uns nicht weiter, weil unserer Meinung nach in der Ruhe die Kraft liegt und in der gemütlich durchradelten Landschaft die Freude. An der Mosel besteht diese Landschaft neben Fluss und Dörfern aus Weinbergen, die teilweise hier an den weltweit steilsten Hanglagen liegen. Einige Flächen, besonders jene weiter oben, scheinen für den Weinbau aufgegeben zu sein, doch sieht man auch immer wieder Parzellen mit offensichtlich jüngeren Rebstöcken.

Weinberge hinter Cochem
Und auf den Hügeln und teilweise an den Hängen beiderseits des Flusstales befinden sich immer wieder Burgen.
Der Radweg führt in dieser Etappe leider auf einem nicht sehr breiten Streifen neben der durchaus breiteren Autostraße.

Ganz offensichtlich hat der Autoverkehr Priorität
Irgendwie schade, aber das wird dem Autoland Deutschland und seiner entsprechend lobbymächtigen Industrie sicher gerecht – man muss halt Prioritäten setzen, nicht wahr?
Preisfrage: Was haben Hochwasser im Dezember an der Ruhr, später an Saar und Blies und jüngst Inn und Donau mit einer solchen Prioritätensetzung zu tun? Keine Ahnung – ich bin ja behindert!!!
Unterwegs haben wir bei einer Rast am Moselufer einen netten Schnack und Austausch mit einem österreichischem Radlerpärchen, die wir des Dialekts halber für Schweizer halten, doch dann aufgeklärt werden, dass sie aus dem schweiznahen Österreich kämen. Mit dem Auto waren sie bis Koblenz und dann mit der Bahn – jeweils die Räder mitnehmend nach Trier gefahren, von wo sie nun moselabwärts zu-rückradelten. Wir hatten uns bereits in der „schönen Aussicht“ gesehen.
Bei einer anderen Rast kommen Besucher, die vermutlich erfahren haben, dass bei Rastenden auch gerne etwas abfällt. Dabei wissen sie vielleicht nicht, dass Brot ihren Mägen wirklich nicht förderlich wäre? Gras ist da schon geeigneter!


Gras ist auch tatsächlich bekömmlicher für Euch!
Etwa bei Müden kommt uns ein kleiner Trupp Radelnder entgegen und einer wirft uns das hier heimische und sehr beliebte „Grüß Gott“ entgegen. Na, hat denn König Markus seinen Freistaat schon an die Gefilde der Mosel erweitert und den „Preußen“, für die sich die Rhein-länder übrigens nie wirklich hielten, gezeigt, wo der Hammer der deutschen Leitkultur hängt? Und das ist uns nur gar nicht aufgefallen? Oder sind das erst die ersten Späher und Kundschafter, die alle hilfrei-chen Informationen für die bevorstehende Invasion erheischen sollen? Nun ja, der Mann scheint ganz friedlich und so vermuten wir stattdes-sen das Beste, dass er ein freundlich zugewandtes Gemüt hat und nur der hiesigen Sitten noch nicht ganz gewahr ist.
Und so radeln wir den frommen Wunsch mitnehmend einem dunklen Himmel entgegen und nutzen den Gedanken an ein höheres Wesen zu einem dreifachen „No rain“ – schließlich hat die Zahl Drei im Christentum eine wichtige Bedeutung.

Vor uns die Regenfront
Doch wie schon in Woodstock wird der Wusch nicht erfüllt, zumindest nicht ganz und es fängt an zu tröpfeln. Allerdings ist dies am diesen den April quasi verlängernden Junitag eher eine kleine Sommerdusche denn wirklich störend. Nur die Brille weist ein etwas sehbehinderndes Muster auf.
Und dann stellen wir etwas später und einige Radkilometer weiter erfreut fest, dass wir mitnichten alleine auf der Welt in unserer Art sind. Uns begegnete eine größere Gruppe „Signalwesten“, auf Ein- oder Doppelrädern, einige der letzteren mit 2 Sitzen nebeneinander und einem Schild am Lenker: „Mich kann man mieten“ – auch diesen Gleichgesinnten gefiel ihr Ausflug ganz offensichtlich und wir strahl-ten einander an, während wir uns begegneten.

Eines der entgegenkommenden und offensichtlich ausleihbarem Doppelrädern
In Gondorf fahren wir zu weit, also an der gebuchten „Pension Marien-hof“ vorbei.
Wir sind rechts der Bahnstrecke und der Ort Gondorf scheint sich links der Schienen zu erstrecken. Nur kommt man hinter Lehmen und dann bis Kobern nicht mehr über die Schienen. Bereits zu Gondorf gehört das Schloss von der Leyden:

„Ehemals umgeben von einem Wassergraben ist Schloss von der Leyen – die ehemalige Gondorfer Oberburg – die einzige Wasserburg an der Mosel.
Erstmals erwähnt wurde die Burg im Jahr 1272. Erbaut wurde sie wahr-scheinlich bereits im 12. Jahrhundert. 1560 residierten die Fürsten von der Leyen hier und gestalteten die Burg zum Schloss um. Dieses Adels-geschlecht war seinerzeit das mächtigste der Mosel. Im Jahr 1720 gehörten ihnen allein 275.000 Rebstöcke. Damit machten sie ihrem Namen alle Ehre. Ley bedeutet Fels, was die von der Leyens zu den Herren der Felsen macht.“
Der Radweg führt durch das Gebäude hindurch, und hinter dem Schloss sehen wir, auf der jenseitigen Bahngleisseite interessante Gebäude wie eine Kirche, ein größeres Herrenhaus und einen „abgebrochenen Turm“ an einer Mauer, die zu Schloss Liebig gehören.


Der Turm

(dies der Blick von der anderen Moselseite von Niederfell aus)
Jedenfalls haben wir den Eindruck, dass wir zu weit gefahren sind, checken dies im Internet und sind uns dann sicher. Also müssen wir ein Stück zurückradeln, und tatsächlich geht bald ein Durchgang näher zur Mosel hin und dann ein schmaler Pfad am Moselufer in Richtung Lehmen zurück. Wir fahren dort entlang, doch ist der befestigte Pfad wirklich recht schmal, und links von ihm droht ein Absturz über eine Kante, im besten Fall in Büche, oder gleich auf Steine am Moselufer.

Der schmale und für breitere Räder herausfordernde Weg direkt an der Mosel
Mit dem Dreirad ist das kein wirkliches Vergnügen und ich muss sehr langsam und vorsichtig-konzentriert fahren, doch nach einigen hundert Meter zurück kommt zunächst eine Durchfahrt, hinter der sich jedoch nur eine Treppe befindet, und noch etwas weiter tatsächlich eine Durchfahrt, die uns unter Straße und Bahngleisen durch und nach einer Rechtskurve tatsächlich direkt zu unserer Unterkunft führt. Als wir auf das Gelände dieser Pension fahren, kommt uns ein Radlerpärchen entgegen und sie grüßen uns freundlich.

Wir halten vor dem Haus und orientieren uns. Etwas links sind 2 breite Stufen und Klingeln. Ich klingele und merke dann, dass die Tür offen ist und trete in einen Flur. Nach ein paar Metern geht eine Treppe in Gegenrichtung ab, an der ein Pfeil „Rezeption“ hängt. Also steige ich in den 1. Stock hinauf, wo mich ein Mann in den besten Jahren empfängt. Ich grüße und verweise auf unsere Reservierung über Booking.com. Er möchte mir das Zimmer in der nächsthöheren Etage zeigen, aber ich verweise auf meine Begleiterin und unsere Räder. Die Räder können wir im Flur unten abstellen und er kommt mit mir die Treppe runter. Er macht auch den anderen Türflügel auf und hilft mir, die beiden kleinen Stufen an der Schwelle zu überwinden, um mein Dreirad in den Flur zu schieben. Danach führt er uns in den 2. Stock zu unserem Zimmer.

Dabei erzählt er – offensichtlich durch meine Gehbehinderung angeregt, von einer blinden Dame, die vor einiger Zeit mit ihrer Begleitung in seiner Pension übernachtet habe.
Er sei bezüglich der Treppen etwas beunruhigt gewesen, doch sie habe versichert, es bewältigen zu können. Bei ihrer Abreise meinte sie „Sehen Sie, das ging doch gut!“ Gerne hätte er einen Aufzug eingebaut, doch stehe das Gebäude stehe unter Denkmalschutz. Im weiteren Gespräch erfuhr ich, dass er seit gut 30 Jahren in Kobern sei und diese Pension seit 20 Jahren betreibe.
Das Gebäude ist wirklich urig und die Zimmer zwar einfach, aber ansprechend eingerichtet. Eine Dusche befindet sich in einer Seitennische, wo sich auch ein Waschbecken findet, das WC ist auf dem Flur und wird von zwei Doppelzimmern genutzt.
Aus den Fenster an der hinteren Wand blickt man in einen Garten, wo sich auch ein Tisch mit Stühlen befindet.

Wir fühlen uns wohl in dieser nicht ganz alltäglichen Umgebung, und lassen unser Gepäck im Zimmer, bevor wir die etwas mehr als 2 km nach Kobern radeln.
Zunächst fahren wir über den restaurantbewehrten Markt hinaus ein Café suchend. Eine Bäckerei, die wir passieren, ist ganz offensichtlich ohne Betrieb, um nicht „verlassen und verrammelt“ zu sagen. Als es nur noch aus dem Ort hinaus weitergeht, frage ich einen entgegenkom-menden Mann, den ich als Einheimischen einschätze, wo es ein Café gebe. Er bleibt gerne für einen Schnack stehen und meint melancho-lisch, früher sei in Kobern viel los gewesen, ganze Busladungen aus Holland hätten damals Kobern besuchten. 4-6.000 Besucher sind damals am Wochenende in den Ort gekommen. Es habe Dutzende von Kneipen gegeben, aber nun sei vieles ausgestorben und geschlossen.

Die Treppe ist eine Herausforderung für Gehbehinderte und war dies sicher auch für die blinde Besucherin, von der der Wirt uns erzählte. Aber sie schaffte es, und wir auch. Ein Zimmer gibt es wohl auch im Erdgeschoss, wobei dann die Treppe zum Frühstück im 1. Obergeschoss bewältigt werden muss.
Am nächsten Morgen erfahren wir beim Frühstück von unserem Wirt, dass Kobern früher der „Ballermann an der Mosel“ gewesen sei und tatsächlich viele Holländer gekommen sind, ebenso viele Menschen aus bis zu 20 km entfernten Moselorten. Es sei der Ort gewesen, um Partner oder Partnerin kennenzulernen, eine große Party an jedem Wochenende.
Allerdings habe der Lärm und das Gesaufe und Gegröle etwa die Hälfte der Einwohnerschaft gestört, so dass sie sich beschwert und die Polizei gerufen hätten. Irgendwann sei es so billig geworden nach Mallorca zu fliegen, dass Kobern an Bedeutung verloren habe.
Durch den Bericht unseres Wirtes verstehen wir den ehemaligen Boom und seinen derzeitigen Zustand, in dem es nach Auskunft des traurig-erscheinenden Einheimischen nur noch ein einziges Café auf der Hauptstraße gibt.
Er beschreibt uns den Weg und wir radeln dorthin. Allerdings ist das Café von der Straße durch eine Baustelle getrennt. Dennoch kehren wir ein und bekommen Kaffee und Kuchen. Das Personal ist ob Lärm und Staub „not amused“, aber was sollen sie machen. Es werde ein Kabel verlegt – also wird das Café dann künftig zumindest schnelles Internet an jene bieten können, die dies wünschen.
Da es noch früh ist, fahren wir noch über die Moselbrücke von Gondorf nach Niederfell. Es erscheint zunächst als Straßendorf, wenn man sich nicht den hinteren und moselabgewendeten Dorfteil erkundet. In der Parallelstraße befinden sich ein alter und wieder restaurierter Dorfbrunnen und einige ältere Häuser.
Von Niederfell aus fahren wir zurück zu unserer Pension. Dieses Mal nehmen wir nicht den schmalen Moselpfad, den wir – wie uns die Frage unseres Wirtes klarmachte – nur dank emsig Arbeitender überhaupt passieren konnten, die nach dem Hochwasser, das vor kurzem auch an der Mosel stattgefunden hatte, den Pfad von angeschwemmten Ästen und gar Bäumen befreit hatten.
Aber für Besuchende, die aus Richtung Cochem kommen und zur Pension Marienhof streben, jedoch nicht nach blutdruckerhöhendem Abenteuer, zumindest Reisenden mit breiteren Gefährten als Zweirädern sei empfohlen, bereits in Lehmen auf die andere Seite der Bahngleise zu wechseln, oder bis Kobern weiterzufahren und dort durch die Durchfahrt zur Hauptstraße und dann jenseits der Gleise sofort links zurück in Richtung Liebig-Schloss und Pension zu fahren.
An dieser Straße befindet sich rechts übrigens auch ein großer REWE-Markt, in dem man hoffentlich entgegen des Namens nicht nur mit „Hundertmark“ zahlen kann, da die mittlerweile recht schwer zu erhalten sind.
Aber zurück zum Frühstück am 13.6.24:

Es wird in einen wirklich mit viel Liebe eingedeckten Raum im ersten Obergeschoss serviert, und „serviert“ ist wörtlich zu nehmen. Beim Eintritt fragt der Pensionswirt, ob man Kaffee haben wolle – es gäbe auch Tee. Er serviert einen Teller, der kunstvoll mit Gurken-, Tomaten- und Radieschenstücken belegt ist sowie einen anderen mit etwas Obst. Auch ein Brötchenkorb, Butter, Marmelade, Honig und Wurst und Käse werden kredenzt.

Auf den Tischen stehen frische Blumen, ruhige Musik begleitet das Frühstück. Es ist wirklich eine zauberhafte und diesem besonderen Ort angemessene Atmosphäre sowie eine Bewirtung zweifellos aus Pas-sion.
Nach dem besonderen Frühstück packen wir und machen uns fertig für die heutige Etappe, die uns bis über Koblenz nach Andernach führen soll. Am Eingang wird noch ein Schwätzchen mit anderen Radelnden gehalten, bevor man sich verabschiedet und jede/r seiner Wege radelt.
Das Wetter ist heute sonnig, etwas kühl, aber sehr angenehm zum Radeln. Der Weg führt uns weiter entlang der Mosel, meist auf einem Streifen direkt neben der Bundesstraße, nur an manchen Stellen etwas abseits der Straße über gesonderte Fahrradwege.

Geblitzt wurde ich zum Glück nicht
Apropos „Geschwindigkeitsbegrenzung“. Meist habe ich mit dem innerörtlichen Tempo 30 kein Problem, das hier wäre aber wohl teuer und nur knapp unterhalb des Führerscheinentzugs gelandet: Noch mal Glück gehabt, dass ich nicht erwischt wurde!
Nach einiger Zeit radeln wir nach Koblenz hinein

In Koblenz nehmen wir auf einem Platz einen Snack und einen leckeren Drink in Form von Apfelschorle mit einem Spritzer Zitrone ein.

Nach dieser Pause suchen und finden wir den Weg in Richtung Andernach, der uns weg von der Mosel und entlang des Rheines führt. Zunächst führt der Radweg durch Koblenz und ein Industriegebiet, bevor es durch ein kleines, im Hochsommer sicher angenehm kühles Waldstückchen hinunter zum Rheinufer führt. Der Weg führt sehr angenehm an Urmitz vorbei bis kurz vor Andernach.

In Koblenz überqueren wir die Mosel gen Andernach
In Andernach fahren wir immer geradeaus durch ein Stadttor der Stadtmitte zu, wo sich nahe des alten Rathauses unsere nächste Unterkunft, eine kleine Ferienwohnung befindet. Die Räder können wir in den Innenhof schieben, die Ferienwohnung ist zweckmäßig mit guter und barrierefreier Dusche, etwas Geschirr, und natürlich einem Fernseher, WLAN und einem Doppelbett.
Ein Frühstück konnte in fußläufiger Entfernung auf der Hochstr. eingenommen werden.

Am 14.6.24 führt uns unsere letzte Etappe über Brohl, Bad Breisig, Sinzig und Remagen zur Fähre in Rolandseck, wo wir den Rhein nach Bad Honnef überqueren, um von dort nach Königswinter zu radeln.
Direkt hinter Andernach gibt es eine etwas enge und steile Stelle, die für mich auf meinem Dreirad eine Herausforderung darstellt, aber ich kann (und muss halt) absteigen und ein wenig schieben. Leider führt dieser Teil des Radweges nicht am Rhein selbst entlang, aber an einem Schloss vorbei und durch Felder, bevor man in Brohl an der Stätte des gleichnahmigen Sprudels vorbeikommt. In Brohl gibt es eine etwas überraschende Wendung des Radweges, da man scheinbar zurück in die falsche Richtung fährt, doch hat die Ausschilderung schon ihre Richtigkeit.
Vor Bad Breisig gibt es noch eine etwas herausfordernde Stelle mit einer geländerbewehrten Art von Serpentine – diese ist aber eher in der Gegenrichtung schwierig und dies ganz besonders, wenn noch jemand entgegenkommt.
Der Rückenwind kommt uns heute entgegen – da er das Radeln leichter und mit weniger Krafteinsatz möglich macht.
Bei Sinzig überquert man die Ahr über eine neue, metallene Brücke.

Der alten, vom Ahrhochwasser weggerissenen Holzbrücke kann sie bei weitem nicht die Schönheit reichen, aber sie erfüllt natürlich ihren Zweck erfüllt und widersteht vermutlich einem eventuell künftigen Hochwasser besser. Sieht man die Ahr in ihrem „normalen Zustand“, so ist die Gewalt und das Ausmaß des Hochwassers von Juli 2021 nicht wirklich vorstellbar, doch hatte ich damals Fotos über das sehr weitgedehnte Überschwemmungsgebiet und einige Monate später trotz Aufräumbemühungen auch die Zerstörungen von Infrastruktur und Häusern im Ahrtal gesehen. Selbst im September 22, also fast 15 Monate nach der verheerenden Flut konnten noch nicht alle Schäden beseitig werden, wie wir bei einer Radtour von Königswinter nach Ahrweiler feststellen mussten. Es waren noch viele Flutnarben zu sehen, die erahnen lassen, wie schwer die Schäden waren

Was tun wir Menschen uns, unseren Mitmenschen, der Infrastruktur und der Natur eigentlich durch unser oft gedankenloses Verhalten an? Und nun kämpfen die Menschen an Saar und Blies, Donau und Inn mit den jüngsten Folgen unseres Tuns, und wollen es noch immer nicht wahrhaben. Die Entscheidungen von Verkehrs- und Konsumverhalten sind halt individuell und sollen frei(willig) sein, die Folgen dieses Tuns sind kollektiv und oft unfreiwillig zu ertragen – jedoch eben meist von Anderen. Dann ist für den freien Bürger mit freier Fahrt ja alles in Ordnung – zumindest bis er/sie selbst und unmittelbar betroffen ist. Aber – wie der Kölner sagt: „et hätt ja noch immer jot jejange“!
Eine letzte Rast, quasi bereits auf der Landebahn machen wir in Remagen-Kripp gegenüber von Linz am Rhein. Hier gab es vor einigen Jahren noch ein echt tolles Restaurant, das von einem Wirt aus Passion geführt wurde. Als wir den Genuss hatten, bei ihm das einzige Mal speisen zu können, erwähnte er, bald aufhören zu wollen. Dies machte er leider bereits im Folgejahr wahr, was ihm natürlich gegönnt sei, aber aus Gästesicht dennoch schade ist.

Ahrtal bei Sinzig- im Juli 21 war all das überschwemmt und die schöne, alte Holzbrücke wurde einfach weggespült
Was unseren Augen immer wieder wehtut, ist jenes Gebäude auf der gegenüberliegenden Linzer Rheinseite, aber natürlich benötigen wir alle Wohnraum, wobei zu wünschen wäre, dass die Architektur ein wenig mehr ihre Visionen an die Landschaft anpassen würde, und es entstanden in den letzten Jahren ja durchaus Konzepte des Bauens mit weniger Beton und durch verschiedene Maßnahmen mit mehr Nachhaltigkeit.

Nach einer kurzen Rast führt uns unser Weg an der Brücke von Remagen und Oberwinter vorbei zur Fähre in Rolandseck:
An der Fähre sieht man den Rolandsbogen und die Insel Nonnenwerth sowie hinter der Insel bereits den Drachenfels, also den an schönen Wochenenden stark besuchten, und tatsächlich eines Ausflugs werten Ort, an dessen Fuß wir leben.

An der Rheinfähre in Rolandseck
Der Rolandsbogen ist der erhaltene Ruinenrest der erstmals 1040 genannten Burg Rolandseck, die zusammen mit den gegenüberliegen-den Burgen Drachenfels und Wolkenburg der Sicherung der Südgrenze des Territoriums des Erzstiftes Köln diente. 1475 zerstört und um 1622 wieder aufgebaut trotzte der Bogen im Gegensatz zur übrigen Burg dem Erdbeben vom 19. Februar 1672.
Der Rolandssage nach ließ der Ritter Roland eine trauernde Hilde-gunde vom Drachenfels zurück, die daraufhin ins Kloster Nonnen-werth eintrat, so dass der zurückgekehrte Ritter Roland dann nur noch wehmütig vom Bogen hinunter seiner Hildegunde auf Nonnenwerth nachschauen konnte. All das zeigt uns mal wieder, dass unsere Taten Folgen haben können, und wir „frei“ (fast) alles tun können, wenn wir bereit sind, die Konsequenzen zu tragen, manchmal müssen wir letzteres dann wehmütig tun.


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