Gedanken zu Solingen – Oder: Was bringt ein Zugangsverbot für ältere, weiße Männer zum Oktoberfest?

(erneut) eingestellt am 6.9.24

Solingen ist auch die Stadt von Mevlüde Genç – einem Symbol der Toleranz

Natürlich ist es absolut fürchterlich, was am Wochenende in Solingen geschehen ist, und durch nichts zu rechtfertigen! Ich mag mir gar nicht vorstellen, freudig auf einem Volksfest zu sein und mich des Sommers und der Gemeinschaft zu erfreuen, und dann plötzlich derartigen Taten ausgesetzt zu sein! Welch Traumatisierung müssen die Menschen erduldet haben, die dies erleben mussten? Welch Schmerz müssen die Familien der grausam und mitten im Feiern dem Leben entrissenen Ermordeten und schwer Verletzten empfinden. Ich habe leider keine angemessenen Wort des Mitgefühls und schon gar nicht des Trostes.

Nur wodurch können solche schrecklichen Taten wirklich verhindert werden? Wie im bereits etwas älteren Text „#Apropos Migration“ betont wird, gibt es in Deutschland aus sehr gutem Grund ein Asylrecht – das auch ein „individuelles Recht auf Asyl“ bedeutet.

Nun, wie ein gewisser Parteichef vorschlägt, allen Menschen aus Syrien und Afghanistan die Einreise zu verweigern, kann doch wohl nicht ein ernstgemeinter und konstruktiver Lösungsvorschlag sein! Was soll das verhindern? Kann man dann auch nicht in vollem Ernst fordern, dass alle älteren weißen Herren das Oktoberfest in München nicht mehr besuchen dürfen, da sicher der ein oder andere von denen die weiblichen Servicekräfte oder Besucherinnen („bestenfalls“ mit Worten) sexuell belästigt haben? Das klingt absurd, aber erscheint eine vergleichbare Pauschalisierung und unzulässiges Verallgemeinern einer Tat und Handlungsweise eines Einzelnen (oder eventuell einiger weniger) auf alle (Afghanen und Syrier oder eben „alte, weiße, Männer, die das Oktoberfest besuchen“). Ja, der Gedanke — dieser wie jener – erscheint tatsächlich vollkommen absurd, und würde sicher KEIN Problem tatsächlich lösen!

Und sicher war ihm bewusst , dass seine Vorschläge überwiegend unrealistisch oder sogar dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention widersprechen, wie der Fachanwalt, Herr Oberhäuser, in einen Interview am 27.8.24 im DLF erläuterte. Und so legte Herr Merz zunächst nach, dass es keine Tabus geben dürfe und man im Zweifelsfall mit 2/3 Mehrheit das Grundgesetz ändern müsse – gemeint war sicher Art. 16 a, also das „individuelle Asylrecht“. Weiterhin will er sich auch mit der EU anlegen. wenn das Dublin-Abkommen weiterhin nicht funktioniere. Laut Dublin-Abkommen, das laut weitvrerbreiteter Ansicht nicht funktioniert, ist jener EU-Staat für Asylbewerbende zuständig, der von Asylsuchenden zuerst betretenen EU-Staat wurde. Das ist für Deutschland seit den frühen 1990er Jahren nach den damaligen Asylrechtsverschärfungen eine recht einfache und „asylantragsvermeidende“ Regelung

In vielen der an den EU-Außengrenzen liegenden Staaten hat es wie in Italien, Belgien, Ungarn oder zwischenzeitlich Polen aufgrund gefühlter und wohl auch tatsächlicher Überforderung einen politischen Rechtsruck gegeben. Und auch in Spanien ist das meines Erachtens zu befürchten …

Deshalb wird auch stets nach der Sicherung der europäischen Außengrenzen gerufen. Festzustellen bleibt, dass nicht nur die Rücknahme von Asylbewerbenden nicht klappt, sondern auch die gerechte Verteilung und Aufnahme von Asylsuchenden aus jenen Staaten an den EU-Außenkräften – nicht.

Als „von Freunden umzingeltes Land“ in der Mitte der EU, also bis auf Ost- und Nordsee ohne jegliche EU-Außengrenzen, ist es einfach für Deutschland auf das Dublin-Abkommen zu verweisen, da ein Erstbetreten der EU in Deutschland eigentlich nur per Fallschirm möglich ist, wenn die asylsuchende Person nicht über genug Geld für ein Flugticket verfügt, und zusätzlich noch im Heimatland in der Lage war, ein Visum und ein Flugticket zu erheischen. Für die meisten verfolgten Option sein.

Aber die schnellen und scheinbar „tatkräftigen“ Vorschläge von Herrn Merz suggerieren eben Tatkraft und Lösungsorientierung, selbst wenn sie aus rechtlichen Gründen überwiegend überhaupt nicht möglich sind, wie Herr Oberhäuser ausgeführt hat. Aber was ficht das die „christliche“ Partei an, wenn doch Wahlen zunächst in ostdeutschen Ländern zu gewinnen sind. Und wenn alles nicht hilft, ändert man halt das Grundgesetz und verstößt gegen internationale Abkommen.

Ok, in der Sache mit dem Grundgesetz ist Herr Merz einige Stunden später doch lieber zurückgerudert, aber vielleicht bleibt von seiner „christlichen“ Tatkraft bei den Landtagswählenden am kommenden Sonntag ja etwas hängen (?!)

Aber zurück zur Forderung des Herrn Merz:

Haben wir vergessen, was in Afghanistan unter den Taliban und nach ihrer erneuten Machtübernahme im Jahre 2021 geschah, und unter welch ebenso schrecklichen und sämtliche Menschenrechte negierenden Verhältnissen die Menschen, und besonders die Frauen und Mädchen, in Afghanistan leben müssen? Recht auf Bildung? Recht auf Gesundheitsversorgung? Meinungsfreiheit? Versammlungs-freiheit? freie Berufs- und Ausbildungswahl? In Deutschland auch für Menschen, die Menschen aus anderen Kulturen, Religionen, mit anderem Geschlecht oder anderen Alters ablehnen, selbstverständlich! Nicht so für Menschen, und besonders Frauen, in Afghanistan. Und denen, oder jenen, die der Bundeswehr in Afghanistan als Übersetzende oder lokale Mitarbeitende, halfen und dienten, und den Deutschen ihr Dortsein überhaupt erst ermöglichten, wollen wir pauschal das Recht auf Schutz vor Verfolgung und der tatsächlich bestehenden Gefahr für ihr Leben und ihre Gesundheit – von Wohlstand oder Wohlergehen soll hier überhaupt nicht gesprochen werden – verweigern?

Oder, ist schon vergessen, was in Syrien unter der Herrschaft von Assad, in Homs, Aleppo und anderswo geschah – an Zerstörung, Verletzung sämtlicher Menschenrechte, an Leid, Verstümmelung und Ermordung, nachdem Menschen in Homs sich wagten, ihre Meinung und ihren Widerstand gegen einen tyrannischen Herrscher zu artikulieren? Schon vergessen, dass Putins Russland dieses Regime stützte und ihm das Überleben ermöglichte – gleichzeitig die flächendeckende Zerstörung von Infrastruktur übend, die es dann seit Februar 2022 auch in der Ukraine anwandte?

Und all diese Menschen wollen wir ( bzw. Sie, Herr Merz) pauschal von der Einreise abhalten, weil ein abgelehnter und aus Syrien stammender Mann in Solingen offenbar dieses schreckliche Verbrechen an unschuldigen Menschen, die nur das Stadtjubiläum feiern wollten, beging?

Nochmals: diese Tat ist vollkommen menschenverachtend und durch überhaupt nichts zu rechtfertigen!

Aber ist das wirklich Ihr Ernst, Herr Merz? Was wollen Sie mit derartigen Pauschalverurteilungen erreichen? Dem Volk nach dem Mund reden – frei nach dem Motto: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen? Die Grenze des Sagbaren immer weiter ins menschenunwürdige verschieben, und den widerlichen Sprüchen der AFD noch mehr Raum geben?

Oder die AFD , wie Sie einmal sagten, „halbieren“? Nun: durch diese und vorherige Sprüche – wie dass Flüchtlinge uns die Zahnarzttermine wegnehmen würden – scheinen Sie die menschenverachtenden und z.T. durch Gerichte bestätigte verfassungsfeindliche und „gesichert rechtsradikalen“ Sprüche der AFD salonfähig gemacht zu haben und die AFD eher verdreifacht als halbiert zu haben – Hatte sie nicht etwa eine Zustimmung von 10 % zum Zeitpunkt Ihres Versprechens der Halbierung?

Na dann: Herzlichen Glückwunsch für diese Tatkraft, die sehr eindrücklich eine christliche Grundhaltung und einen so ausgepägten Sinn für das real Mögliche ausdrückt!

Und all jene, die behaupten, sie dürften im realexistierenden Deutschland des 21. Jahrhunderts ihre Meinung nicht frei äußern und man höre ihnen nicht zu:

Lust auf einen einmonatigen Urlaub in Afghanistan, in Syrien, in Putins Russland oder in Belarus? Vielleicht sollte ein einmonatiger Aufenthalt in einem dieser Länder als „Bildungsurlaub“ anerkannt werden?

Jedoch! Dabei muss man bedenken, dass die Menschen in Bayern und Sachsen KEINEN Anspruch auf Bildungsurlaub haben – das ist tatsächlich so! Also: diese Menschen müssen dann leider „zu Hause“ bleiben und ihnen ist diese Art der Bildung – zumindest bei Weiterbezug des Lohnes – nicht vergönnt.

Aber einen Vergleich der angeblich nicht vorhandenen Freiheiten von Meinung und Versammlung in Deutschland mit der Realität in jenen Ländern empfehle ich auch den Brüdern und Schwestern aus Bayern und Sachsen …

Übrigens scheint der 26 jährige Deutsche, der in Moers mit Messern rumfuchtelte und schließlich von der Polizei erschossen wurde, möglicherweise „geistig verwirrt“, soweit es heute (28.8.24) morgens hieß. Sollten wir nicht auch alle (vielleicht) geistig verwirrten, die sich in Deutschland aufhalten, gleich noch mit abschieben? Und möglichst erst gar nicht einreisen lassen – oder geboren werden? Ein Schelm, der auch hier an Zeiten einer unrühmlichen Vergangenheit in Deutschland denkt.

Nun weiß ich nicht mehr als ich zu diesem Fall in Moers heute im Radio hörte, aber meine Ausführungen mögen die Absurdität der gestrigen Ausführungen eines gewissen Friedrich Merz noch besser beleuchten …